Diamanten aus dem Labor erobern den Schmuckmarkt

Schmuckhersteller bleiben immer öfter auf Diamanten sitzen. Doch im schrumpfenden Gesamtmarkt wächst ein Segment besonders schnell: das Geschäft mit künstlich hergestellten Edelsteinen. Wie entstehen Diamanten im Labor? Und wie nachhaltig sind sie?

Sabrina Weiss
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In der Schmuckindustrie stehen Diamanten für Status und Luxus. Doch die Steine werden auch in der Industrie oder der Medizin für Werkzeuge eingesetzt.

In der Schmuckindustrie stehen Diamanten für Status und Luxus. Doch die Steine werden auch in der Industrie oder der Medizin für Werkzeuge eingesetzt.

Matt Winkelmeyer / Getty

Es dauert Millionen von Jahren, bis natürliche Diamanten entstehen. Tief unter der Erdoberfläche kristallisieren sich Kohlenstoffatome unter extremem Druck und einer glühenden Hitze von über 1000 Grad Celsius. Sie bilden das härteste Material, das in der Natur zu finden ist: Rohdiamanten. Erst bei Vulkanausbrüchen gelangen die Steine nah an die Oberfläche. Wer sie findet und abbaut, verdient Milliarden.

Ablagerungen von Diamanten gibt es auf der ganzen Welt, von Kanada bis Australien, sogar unter Wasser in Namibia. Das Gewicht, die Farbe und Reinheit bestimmen den Wert eines Diamanten sowie der professionelle Schliff, der ihn zum Glitzern bringt.

Doch viele junge Käufer, vor allem Millennials, wollen keine Verlobungsringe mit natürlichen Diamanten mehr tragen. In Umfragen geben sie an, dass ihnen der Energieverbrauch in den Minen und in der Produktion zu hoch sei. Sie möchten zudem wissen, woher ihre Diamanten stammen und in wessen Händen sie sich befanden. Denn spätestens seit «Blood Diamond», einem Film aus dem Jahr 2006 mit Leonardo DiCaprio, weiss man: Manche Edelsteine werden unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen abgebaut und tragen dazu bei, Rebellen oder kriminelle Gruppen in Afrika zu finanzieren.

Das schlägt sich in den Verkaufszahlen nieder. Laut dem Beratungsunternehmen Bain & Company werden jedes Jahr weniger natürliche Diamanten nachgefragt. Die Produktion wird in Karat gemessen, einer Gewichtseinheit, die 0,2 Gramm entspricht. Im vergangenen Jahr wurden 111 Millionen Karat an natürlichen Diamanten produziert – ein Rückgang von rund 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Covid-19-Pandemie mag einen Teil des Rückganges erklären, doch die Tendenz zur schrumpfenden Nachfrage besteht schon seit 2017.

Jährliche Diamantenproduktion (in Millionen Karat)

Die Produktion von natürlichen Diamanten ist seit ihrem Höhepunkt im Jahr 2017 zurückgegangen.

Der Rückgang der Gesamtnachfrage täuscht aber über den Geschäftserfolg von künstlich hergestellten Diamanten hinweg. In einem schrumpfenden Gesamtmarkt werden jährlich bis zu 20 Prozent mehr Diamanten im Labor produziert. 2020 lieferten die Produzenten etwa 7 Mio. Karat. Das entspricht 1,4 Tonnen Edelstein.

Im Moment bedienen Labordiamanten also noch eine Nischenkundschaft, doch ihr Marktanteil dürfte weiterhin stark wachsen. Im Mai dieses Jahres gab Pandora, eine der grössten Schmuckfirmen der Welt, bekannt, keine natürlich abgebauten Diamanten mehr verkaufen zu wollen. Bereits 2018 rief der grösste Diamantenproduzent der Welt, De Beers, eine Tochterfirma ins Leben, die Schmuck mit künstlich hergestellten Steinen verkauft. Und auch «Blood Diamond»-Darsteller Leonardo DiCaprio investiert in die Firma Foundry, die angeblich binnen zwei Wochen Diamanten in Reaktoren herstellen kann.

Doch wie unterscheiden sich Diamanten aus dem Labor ​​von ihren natürlichen Pendants?

Diamanten wachsen mit Spannung

Im Labor hergestellte Diamanten sehen identisch aus wie abgebaute Diamanten. Sie haben die gleiche chemische Zusammensetzung von Kohlenstoff und eine Kristallstruktur, deshalb werden sie als echt angesehen und verkauft.

Diamanten werden bereits seit Jahrzehnten in Laboren hergestellt. Das amerikanische Industriekonglomerat General Electric entwickelte 1954 ein Verfahren, das die natürlichen Bedingungen im Erdinneren nachahmt und Grafit – eine kristalline Form von Kohlenstoff – über mehrere Wochen zu Diamanten presst. Dieses sogenannte HPHT-Verfahren («Hoher Druck, hohe Temperaturen») ist energieintensiv und deshalb sehr teuer. In den Jahren nach der Entwicklung der Technik schimmerten die Diamanten zudem gelblich wegen ihres Stickstoffgehalts. Deshalb wurden sie hauptsächlich in der Industrie eingesetzt, beispielsweise als Spitzen von Bohrmaschinen.

Heute setzen Hersteller vermehrt auf eine neue Methode, die weniger Energie benötigt: Chemische Gasphasenabscheidung (auf English kurz CVD). Dabei wird ein winziger Diamantensplitter in einen Raum mit einem Gasgemisch aus Methan und Wasserstoff gegeben, wobei Ersteres als Kohlenstoffquelle dient. Das Gas wird erhitzt, bis ein Plasma entsteht. In der Folge haftet ein Kohlenstoffatom nach dem anderen am Splitter fest, es wächst ein ultrareiner Diamant. Die vergleichsweise tiefen Temperaturen im Herstellungsprozess reduzieren die Produktionskosten erheblich. Letztes Jahr ist es australischen Physikern sogar gelungen, Kohlenstoff bei Raumtemperatur in eine Kristallstruktur zu formen.

Im Labor von Element Six, das zur De-Beers-Gruppe gehört, wurden Diamanten früher durch das Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahren (HPHT) hergestellt. Heute setzt das Unternehmen vermehrt auf das energieärmere CVD-Verfahren.

Im Labor von Element Six, das zur De-Beers-Gruppe gehört, wurden Diamanten früher durch das Hochdruck-Hochtemperatur-Verfahren (HPHT) hergestellt. Heute setzt das Unternehmen vermehrt auf das energieärmere CVD-Verfahren.

Chris Ratcliffe / Bloomberg

Umweltauswirkungen lassen sich schlecht vergleichen

Die Qualität der Labordiamanten ist mittlerweile mit der von abgebauten Diamanten vergleichbar. Doch nachhaltig sind sie nicht unbedingt – auch wenn die Hersteller damit werben. Eine Analyse aus dem Jahr 2014 zeigte zwar, dass pro Karat doppelt so viel Energie benötigt wird, um Diamanten abzubauen, als im Labor herzustellen. Die Autoren der Analyse gingen jedoch davon aus, dass die Labore mit erneuerbaren Energien arbeiteten, was bis heute nicht immer der Fall ist.

Hersteller in den USA und Indien setzen vermehrt auf das CVD-Verfahren und erneuerbare Energiequellen, doch bis heute wird mehr als die Hälfte der Diamanten in China hergestellt – wo die traditionelle Methode mit Kohlestrom betrieben wird.

Der Verband der Bergbauunternehmen, die Diamond Producers Association, widerspricht der Darstellung, dass Labore nachhaltiger als Abbauminen betrieben würden: die Treibhausgasemissionen aus dem Energieverbrauch seien dreimal so hoch im Labor, schreiben sie in einer Studie. Die Einschätzungen aus dem Jahr 2019 basieren jedoch auf öffentlich zugänglichen Zahlen von wenigen Firmen. Laut dem Verband kommunizieren die meisten Hersteller von Labordiamanten ihren Energie- und Materialverbrauch nicht offen.

Schmuckhandel in der Krise

Die Studien der unterschiedlichen Interessengruppen widersprechen sich also, und die mangelnde Transparenz seitens Diamantenhersteller macht es schwierig, die Umweltbelastung einzelner Produktionsprozesse zu vergleichen. Eines ist jedoch klar: Mit der fortlaufenden Umstellung der Labore auf erneuerbare Energie werden künstlich hergestellte Diamanten immer nachhaltiger.

Ob es ihnen damit gelingt, den Schmuckmarkt nach der Covid-19-Krise zu erobern, wird von der Kaufkraft und der Zahlungsbereitschaft der Konsumenten abhängen. Hier haben Labordiamanten einen weiteren Vorteil gegenüber natürlichen: Sie sind rund ein Drittel günstiger.

Schmuckfirmen müssen sich also mit der Frage auseinandersetzen, ob sie den Effizienzgewinn künftig in Form einer Preisreduktion an die Kunden weitergeben möchten oder die Preise ihrer Produkte hoch halten und dafür ihre Marge vergrössern wollen. Es ist eine von vielen strategischen Überlegungen, die für den Erfolg von Firmen während des Strukturwandels auf dem Diamantenmarkt entscheidend sein werden.

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