Stunde der Klarheit: Wie nachhaltig sind eigentlich noch Luxus und Uhrmacherkunst?

Luxus, aber nicht um jeden Preis. Aurelia Figueroa, Global Head of Sustainability von Breitling, über Transparenz, Proaktivität und Druck, der nicht nur Diamanten erzeugen kann, sondern auch Veränderung
Stunde der Klarheit Wie nachhaltig sind eigentlich noch Luxus und Uhrmacherkunst
Pandech Saleewong

Luxus konsumieren und dabei „die Welt retten“ – das eine geht heute nicht mehr ohne das andere. Gerade im Bereich der Uhren und des Schmucks gehört diese Realität längst zur Praxis. Bei Breitling zählen dazu Maßnahmen wie die Eliminierung von Kunststoffabfällen, das Upcycling von Materialien oder ein bezahlter jährlicher Natururlaub für alle Mitarbeitenden. Aktuell steht die Markteinführung einer ersten transparenten Uhr im Zentrum: der „Super Chronomat Origins“. Ihr verarbeitetes Gold lässt sich bis zum Bergwerk zurückverfolgen, und ihre synthetisch hergestellten Diamanten stammen immer aus demselben Labor. Im Gespräch mit VOGUE verrät Aurelia Figueroa, wie Breitling bis zum Jahr 2025 alle Produkte mit „besserem Gold, besseren Diamanten und einer besseren Rückverfolgbarkeit“ anbieten möchte. (Lesen Sie hier: 7 VOGUE-Redakteur:innen über ihre besten Vintage-Käufe)

Eine Luxusuhr soll nicht nur die Zeit anzeigen, sondern sie auch überdauern. Wenn wir luxuriöse Produkte kaufen, verhalten wir uns dann nicht ohnehin schon nachhaltig?

In der Tat bringt Luxus immer eine gewisse Qualität mit sich, die es dem Produkt erlaubt, über einen längeren Zeitraum Bestand zu haben. Wir müssen uns aber trotzdem fragen: Welche Rolle können wir dabei spielen, dass wir nicht nur ein hochwertiges Produkt erschaffen, sondern dass seine Qualitäten sich auch in der Art der sozialen und ökologischen Auswirkungen widerspiegeln?

Wie kann das gelingen?

Zum Beispiel durch das Engagement in verantwortungsvollen Bergbaugemeinden, durch die Unterstützung lokaler Bildungsmöglichkeiten, durch die Sicherstellung, dass es keine Zwangsarbeit oder Lieferketten gibt, die zu einer wirtschaftlichen Schieflage beitragen, die die Löhne drückt oder andere weitreichende systemische Auswirkungen hat. (Außerdem: Pre-loved: Diese Labels bieten einen Wiederverkauf an)

Verlangen das Kund:innen heute?

Ich denke, dass Verbraucher:innen – und hier spreche ich auch für mich selbst – davon ausgehen, dass ein Luxusprodukt in Europa hergestellt und dass bei der Beschaffung der Materialien sehr sorgfältig vorgegangen wurde. Sie glauben, dass Standards und Richtlinien erfüllt wurden, die sich mit unseren eigenen Werten decken. Sie stellen Vermutungen an, die richtig oder falsch sein können. Wir möchten transparente und zugängliche Informationen zur Verfügung stellen, mit denen Menschen selbst eine Entscheidung treffen können. Nachhaltigkeit ist ein intimes und persönliches Thema.

Gleichzeitig ein ziemlich strapazierter Begriff.

Der Begriff Nachhaltigkeit ist heute gut und schlecht zugleich. Deshalb wollten wir für unsere Produkte einen Schritt zurückgehen und uns dem zuwenden, was sachlicher ist: der Rückverfolgbarkeit.

Aurelia Figueroa, Global Head of Sustainability von Breitling

Thomas Buchwalder

Sie verwenden für diesen Zweck NFTs, also digitale Zertifikate. Wie können sie dabei helfen, bessere Einblicke in die Lieferkette zu bekommen? Und welche Nachteile bringen sie mit sich? 

Natürlich verbrauchen NFTs Energie. Doch das Arianee-Protokoll, auf welchem unser NF T gestützt ist, nutzt eine Sidechain von Ethereum, die bereits einen niedrigen Energieverbrauch hat. Dadurch mussten wir unser Kohlenstoffbudget nicht für einen NF T sprengen. Außerdem wissen wir, dass wir alle nur begrenzt Zeit haben. Deshalb wollten wir ein Tool anbieten, das auf einen Blick preisgibt, wer an der Wertschöpfungskette beteiligt war, was die für das Produkt relevanten Zertifizierungen sind und welche Arten von sozialen und ökologischen Auswirkungen damit erreicht werden konnten. (Auch interessant: Biocouture: So werden Materialien am nachhaltigsten hergestellt)

Heute muss man nicht nur auf die eigenen Entscheidungen achten, sondern auch auf die aller Beteiligten der Lieferkette. Wie gehen Sie dabei vor? 

Wir beschäftigen uns mit allen Lieferanten entlang der Lieferkette, indem wir Prüfungen vor Ort durchführen und uns gegenseitig auf unseren gemeinsamen Wegen etwa zur Erreichung sozialer Auswirkungen oder zur Reduzierung des Kohlenstoffausstoßes begleiten. Ich besuche zum Beispiel persönlich die Goldminen und die Labordiamanten-Lieferanten, von denen wir unsere Rohstoffe beziehen.

Diese Reisen wiederum sorgen für einen größeren CO2-Fußabdruck, oder?

Daher rechnen wir nicht nur Aktivitäten, die in direkter Verbindung mit dem Unternehmen stehen, sondern auch die indirekten Aktivitäten in unsere Kohlenstoffbilanzierung mit ein. Das schließt etwa den Pendelverkehr der Mitarbeiter:innen mit ein, Geschäftsreisen oder die Beschaffung von Rohstoffen, was bei Breitling den größten Teil der CO2-Emissionen verursacht. Das hängt mit dem Gold und den Diamanten zusammen, die wir beziehen. Dafür müssen wir die Verantwortung übernehmen.

Bis 2024 sollen für Breitling-Uhren ausschließlich Diamanten aus dem Labor genutzt werden. Verbraucht deren Herstellungsprozess nicht zusätzlich jede Menge Energie und auch Gas?

Zur Herstellung von Labordiamanten wird Methan verwendet. Es ist ein Nebenprodukt der Öl- und Gasförderung, das oft an den Produktionsstandorten in die Atmosphäre freigesetzt wird, weil es keine Möglichkeit gibt, es kommerziell zu nutzen. Das trägt erheblich zu den weltweiten Treibhausgasemissionen bei. Labordiamanten sind ein Weg, dieses Gas aufzuwerten. Gleichzeitig muss man wissen, dass, wenn ein Diamant im Bergbau gewonnen wird, 200 bis 400 Millionen Mal so viel Gestein abgebaut werden muss. Das geht zumindest aus Schätzungen der US Geological Survey hervor, und der Transport von so viel Gestein ist auch mit einem erheblichen Ressourcen- verbrauch verbunden. Natürlich ist auch beim Herstellungsprozess von Labordiamanten Energie im Spiel. Deshalb müssen unsere Lieferanten mindestens Klimaneutralität erreichen und daran arbeiten, in naher Zukunft auf erneuerbare Energien umzusteigen.

Wäre es nicht grundsätzlich nachhaltiger, etwas Vorhandenes wie Vintage-Diamanten zu verwenden, als etwas Neues zu produzieren? Angeblich sind viel mehr Diamanten im Umlauf, als wir brauchen. 

Da wir uns auf Rückverfolgbarkeit konzentrieren, würde das unserem Ansatz widersprechen. Mit Labordiamanten können wir hingegen sicherstellen, dass wir weder Mensch noch Natur in Gefahr bringen. Das heißt aber nicht, dass wir uns jeglicher Verantwortung entziehen: Wir haben in der Vergangenheit auch Diamanten aus dem Bergbau genutzt, tun das nach wie vor, deshalb engagieren wir uns, Wege zu entwickeln, wie wir Gemeinschaften unterstützen können, die Diamanten abbauen.

Und was spricht gegen recyceltes Gold?

Hier sehen wir ein ähnliches Problem wie bei den Vintage-Diamanten: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, woher es stammt. Das gilt jedoch nicht für das Gold, das während der Uhrenproduktion abfällt. Wenn man eine Uhr fertigt, braucht man ihr fünffaches Nettogewicht an Gold, weil man ihre Elemente ausstanzt. Anders gesagt, ist das wie bei der Herstellung von Ravioli, und der „Abfall“, der dabei entsteht, wird wieder recycelt. So können wir die Herkunft des Goldes immer garantieren. 

„Breitling Super Chronomat Automatic 38 Origins“, um 19400 Euro

Ihr Gold beziehen Sie aus der Swiss Better Gold Association. Was macht deren Gold besser? 

Wir haben uns 2020 gefragt, was unsere Prioritäten im Bereich Gold und Nachhaltigkeit sind. Die drei wichtigsten Themen waren: soziale und ökologische Auswirkungen entlang der Wertschöpfungskette sowie Produktintegrität, also Rückverfolgbarkeit. Und diese Kriterien führten uns immer wieder zum Kleinbergbau. Sicher, der Kleinbergbau kann entsetzliche soziale und ökologische Auswirkungen haben, die mit schlimmsten Chemikalien und Praktiken verbunden sind. Aber wir sahen darin auch die Möglichkeit, die größte positive Wirkung zu erzielen, indem wir uns in diesem Sektor engagieren. Es handelt sich schließlich um 30 Prozent des weltweiten Goldangebots. Wir bewerteten also die verschiedenen Labels und Optionen, die zur Verfügung standen. Und wir haben uns aufgrund der Art und Weise, wie sie mit den Gemeinden zusammenarbeiten, für Swiss Better Gold entschieden, da sie sinnvolle Programme entwickeln, wie etwa medizinische Zentren und Bildungsprogramme in abgelegenen Gemeinden. 

Was sind die Auswahlkriterien von Swiss Better Gold für die Zertifizierung einer Mine? 

Es gibt eine Reihe von Kriterien im Zusammenhang mit ESG (steht für Environment, Social, Governance und zieht ökologische, soziale und ethische Gesichtspunkte mit ein, A.d.R.). Wichtig sind die Auswirkungen einer Mine auf ihre Umwelt und ob die anschließende Sanierung des Geländes vorgesehen ist. Dass Chemikalien verantwortungsvoll und in geschlossenen Systemen eingesetzt und recycelt, dass Anlagen regelmäßig und ordnungsgemäß gewartet werden. Hinzu kommen eine Reihe anderer Maßnahmen im sozialen Bereich, die sicherstellen, dass die Arbeiter gut bezahlt werden, dass Sicherheit und eine angemessene Arbeitsumgebung herrschen. Auch die Unternehmensführung wird hinterfragt: Welche sind die Sorgfaltspflichten, die getroffen wurden? Wie stellen wir sicher, dass keine Korruption, keine Bestechung und kein Menschenhandel stattfinden? Das sind Kernfragen, die leider nach wie vor mit der Beschaffung von Materialien einhergehen. 

Mit der „Super Chronomat Origins“ feiert Breitling nun einen Meilenstein. Ein Produkt, das aus Zielen Realität werden lässt?

Es ist uns wichtig, etwas in die Hand nehmen zu können und zu sagen: Das sind die Werte, mit denen wir gearbeitet haben. Wir waren in der Lage, sie in eine physische Form zu bringen. Das ist ein großer Schritt in die Richtung unserer Nachhaltigkeitsziele.

Diese Uhr ist also kein Endpunkt, sondern einer von vielen Schritten im Prozess der Transformation?

„Origins“ ist die Chance, ins Gespräch zu kommen. Denn bei Nachhaltigkeitsthemen, die zu Recht sehr zielorientiert sind, kann man manchmal ein bisschen kopflastig werden. Ab einem gewissen Punkt verliert man den Bezug, und es ist schwer, nicht gleichgültig zu werden. Also brauchen wir etwas im Hier und Jetzt. Aber „Origins“ wird definitiv nicht das Ende vom Lied sein.

Unter anderem möchte Breitling bis 2025 etwa keinen Plastikmüll mehr produzieren. Das klingt sehr ehrgeizig?

Ich würde sogar sagen, dass all unsere Nachhaltigkeitsziele beängstigend ehrgeizig sind. Aber ich denke, das müssen sie sein, damit sich etwas ändert.

Mehr spannende Modethemen auf Vogue.de

Lesen Sie mehr
Liisa Kessler: "Skandinavische Mode muss nicht immer streng und geschlossen sein"

Das neue Filippa K ist ein Rückblick in die 90er-Jahre, der nicht den Bezug zur Gegenwart verliert. Wir haben mit Liisa Kessler, der neuen deutschen Kreativdirektorin, gesprochen.

article image
Lesen Sie mehr
Beka Gvishiani von @stylenotcom: Ohne Bilder zum Revolutionär des Fashion-Instagram

Beka Gvishiani von @stylenotcom im VOGUE-Interview über bilderlosen Modejournalismus, die Doppelmoral der Modeindustrie und seine legendäre blaue Basecap.

article image
Lesen Sie mehr
Sollte man endgültig aufhören, Mode zu kaufen?

Patrick Pendiuk stellt sich jeden Monat eine modische Frage, auf die es nicht die eine richtige Antwort gibt.

Frau mit Jeans