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Künstliche Diamanten setzen Juweliere unter Druck

In einem schwedischen Werk des Industrie-Diamant-Herstellers Element Six kontrolliert ein Arbeiter die Diamantenpressen In einem schwedischen Werk des Industrie-Diamant-Herstellers Element Six kontrolliert ein Arbeiter die Diamantenpressen
In einem schwedischen Werk des Industrie-Diamant-Herstellers Element Six kontrolliert ein Arbeiter die Diamantenpressen
Quelle: ZGB
Industrie-Diamanten schneiden durch Granit wie durch Butter. Gleichzeitig versuchen manche Hersteller, aus den künstlichen Steinen Edelschmuck herzustellen. Die Juweliere sind alarmiert.

Da ist ganz schön Druck drauf – und das im wahrsten Sinne des Wortes: Pressen so groß wie ganze Einfamilienhäuser ahmen in der von außen unscheinbaren Fabrik bei 1500 Grad Celsius den Vorgang nach, mit dem die Natur Diamanten formt. Mit viel Druck und wenig Geräuschen wird Kohlenstoff zum begehrten Edelstein.

Nur: Was in der Natur mitunter mehrere Millionen Jahre dauert, braucht in der Fabrik Stunden, höchstens Tage. „Wir können hier mehrere hundert Karat auf einmal produzieren. Das kriegt die Natur nicht hin”, sagt Walter Hühn.

Sein Unternehmen Element Six produziert so synthetische Diamanten. Diese schneiden durch Granit wie durch Butter, graben sich auf Bohrköpfen durchs Erdreich, werden in Kombination mit Lasern bei komplizierten Operationen eingesetzt und könnten schon bald in Computerfestplatten verbaut werden.

Die Forschung hat zuletzt einen großen Sprung nach vorne gemacht – in mehr und mehr Bereichen kommen synthetische Diamanten zum Einsatz. Großunternehmen wie IBM und Hewlett-Packard interessieren sich seit Kurzem für die künstlichen Glitzersteine, unterhalten eigene Forschungsabteilungen. „Das Interesse an synthetischen Diamanten hat stark zugenommen”, bestätigt Professor Mark Newton von der University of Warwick, der seit mehr als 20 Jahren an künstlichen Diamanten forscht.

Minderwertige Produkte auf dem Markt

Experten sagen der Branche deshalb in den kommenden Jahren großes Wachstumspotenzial voraus. Schon heute gibt es weit mehr synthetische als natürliche Diamanten auf der Welt: 2011 wurden dem U.S. Geological Survey zufolge 4,51 Milliarden Karat gehandelt, davon 4,38 Milliarden an synthetischen Diamanten.

Doch: Die Erforschung und Herstellung künstlicher Diamanten ist ziemlich teuer – und aufwendig. Angefangen von einigen Cents kann ein synthetischer Diamant bis zu mehreren Hunderttausend Dollar kosten. Hinzu kommt, dass zunehmend Wettbewerber mit minderwertigen Produkten auf den Markt drängen. Auch versuchen Firmen, synthetische Diamanten als Schmucksteine zu vermarkten – eine Tendenz, die Unternehmen wie Element Six, deren Mutterfirma De Beers über sechs Milliarden Dollar (4,4 Milliarden Euro) im Jahr mit Natursteinen umsetzt, mit Sorge beobachten.

Nichts ist so hart wie ein Diamant: Aus diesen einfachen Grund werden synthetische Diamanten vor allem in der Minen-Industrie verwendet, zum Schneiden, Bohren und Zertrümmern. „Mit Diamanten bekommen Sie eine extrem scharfe Schneidkante. Das hält länger als jedes andere Werkzeug“, sagt Element Six-CEO Walter Hühn.

In der Industrie muss jeder Diamant dem anderen gleichen. In vielen Minen der Welt wird mit Werkzeugen gearbeitet, die mit einer Diamantschicht überzogen sind. Diamantdrahtsägen haben Sägeblätter so dünn wie ein menschliches Haar, damit werden LCD-Displays geschnitten. „Das geht so durch“, sagt Walter Hühn und fährt mit der Hand durch die Luft. Als fein gemahlener Staub werden seine Diamanten auch zum Polieren verwendet, „ein wachsender Markt.“

Nachfrage übersteigt Angebot deutlich

Element Six konnte den Umsatz auf inzwischen 500 Millionen Dollar im Jahr verdoppeln. Doch nicht nur dieses Unternehmen spürt vor allem in den USA, China und Europa eine wachsende Nachfrage: Auch das US-Unternehmen Scio Diamond kommt mit der Produktion kaum hinterher. „Die Nachfrage ist größer als das, was wir anbieten können“, sagt CEO Michael McMahon. „Der Markt wird auch in Zukunft mehr nachfragen, als die Industrie herstellen kann.“

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Mark Newton von der University of Warwick sieht die größten Wachstumschancen für synthetische Diamanten im Bereich der Präzisionswerkzeuge. „Das ist der Markt, in dem man immer noch einen großen Wertzuwachs hat“, sagt der Wissenschaftler. Vieles ist erst durch synthetische Diamanten möglich geworden, erklärt er: „Ohne diese Steine gäbe es kein Fracking.“ Bei der umstrittenen Abbaumethode wird Gas unter Druck aus der Erde gepumpt. „All das funktioniert nur mit Diamant-Bohrköpfen.“

Mit synthetischen Diamanten lässt sich auch Asphalt fräsen. In der Autoindustrie werden die Steine zum Schneiden von Faserverbundstoffen benutzt. Der Autobauer Jaguar prüft derzeit, inwieweit auch in der Jaguar-Produktion mit Diamanten gearbeitet werden kann.

Auch wenn die Nachfrage aktuell steigt und es viele neue Einsatzmöglichen gibt, sind synthetische Diamanten „eigentlich nichts Neues“: De Beers stellte schon 1953 den ersten Stein dieser Art her. „Am Anfang waren die Pressen wahnsinnig klein“, sagt Element Six-CEO Walter Hühn. „Die Diamanten, die da rauskamen, waren es auch.“ Er drückt die Fingerspitzen zusammen, wenige Millimeter, größer waren die ersten synthetischen Diamanten nicht.

Neues Verfahren, um Diamanten zu „züchten“

Dank der breiten Produktpalette leidet sein Unternehmen weniger als die Konkurrenz unter dem derzeitigen Einbruch in der Rohstoffindustrie. „Unser Vorteil ist, dass wir sehr viele Branchen abdecken“, sagt Walter Hühn.

Ein gerade eröffnetes Forschungszentrum in Harwell in der Nähe von Oxford, dem Sitz der weltberühmten Oxford-University, soll dafür sorgen, dass das auch in Zukunft so bleibt. 20 Millionen Pfund investierte das Unternehmen in Harwell. Walter Hühn spart dort nicht am Material. „Wir zerreiben dort mehr als eine Tonne Granit am Tag“, sagt der 51-Jährige.

Ein neues Verfahren ermöglicht seit einigen Jahren, Diamanten zu „züchten“, sie also durch Atomaufbau in die gewünschte Form zu bringen. Mit der sogenannten „Chemical Wafer Deposition“ lassen sich Diamanten für optische Linsen, als Leiter in Elektronikgeräten und für das Innenleben eines Lautsprechers herstellen.

Mark Newton ist von den Steinen überzeugt. „Mit synthetischen Diamanten lassen sich elektronische Geräte besser kühlen, wir können damit bald Computer bauen.“ Sogar im Smartphone-Display kann sich der Wissenschaftler künstliche Diamanten vorstellen; schon jetzt wird an einer entsprechenden Anwendung geforscht. „Mehr darf ich darüber nicht verraten“, sagt Mark Newton und lacht. „Aber das ist schon cool, oder?“

Europa ist wichtiger denn je

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Walter Hühn zumindest findet das cool. „Es sind alles Anwendungen, die wir vor ein paar Jahren noch nicht für möglich gehalten hätten“, sagt er. Hühn war vorher Managing Director bei Motorola, arbeitete zuletzt für ein Start-up in Norwegen und sitzt nun im De Beers Group Executive Committee.

Für De Beers sind die synthetischen Diamanten ein willkommenes Zusatzgeschäft. Bis vor zehn Jahren lief das Geschäft unter dem Titel „De Beers Industrial Diamonds“, danach entschied sich das Management, die Firmen auch namentlich voneinander zu trennen.

Heute hat Element Six rund 2500 Mitarbeiter und seinen offiziellen Hauptsitz in Luxemburg. Produziert wird in den USA, China, Schweden, Südafrika, Irland und Fulda. „Europa ist für uns wichtiger denn je“, sagt Walter Hühn. Mehrere hundert Wissenschaftler – meist Chemiker, Physiker und Materialwissenschaftler – forschen im britischen Harwell an den Diamanten der Zukunft. Vielleicht kann Hühn einmal seinen Sohn rekrutieren. „Der ist extrem interessiert“, sagt er. „Wie gesagt, die Faszination ist unheimlich leicht zu transportieren.“

Von dieser Faszination wollen nun auch andere Firmen profitieren, indem sie synthetische Diamanten als Schmucksteine vermarkten. Der New Yorker Diamant-Händler Royal Asscher zum Beispiel brachte kürzlich die Marke „Rebel Chique“ auf den Markt, die ausschließlich Schmuck aus synthetischen Diamanten anbietet. Ein Stein kostet im Schnitt 1000 bis 3000 Dollar, 40 bis 90 Prozent weniger als ein Naturstein.

Qualität lässt zu wünschen übrig

Auch in China und Russland gibt es ähnliche Versuche, die Firmen werben damit, dass es sich um „konfliktfreie“ Diamanten handelt, die anders als die unter Tage abgebauten Steine nicht aus einem Schwellen- oder Entwicklungsland stammen. „Es gibt Firmen, die versuchen, so Geld zu verdienen“, sagt Mark Newton von der University of Warwick. „Die Ergebnisse sind bislang allerdings wenig überzeugend.“

Auch die World Jewelry Confederation, der Weltverband der Juweliere, hält diesen Trend für relativ neu. „Über lange Jahre hat die Qualität nicht ausgereicht, um aus diesen Steinen Schmuck zu machen“, sagt Steven Benson von der World Jewelry Confederation. Noch immer kämen nur wenige Steine in guter Qualität auf den Markt.

Dennoch glaubt Benson, dass es einen Markt für Schmuck aus künstlichen Diamanten gibt: „Der wachsende Markt an synthetischen Steinen könnte langfristig den Markt für natürliche Diamanten bedrohen.“

Das befürchteten über Jahre auch die Diamantenhändler: „De Beers versucht seit Längerem, natürliche und künstliche Diamanten voneinander zu trennen“, sagt Steven Benson. Die Branche ist deshalb gezwungen, ihre Steine besonders zu kennzeichnen: Synthetische Diamanten dürfen nicht als „Diamanten“ verkauft werden, sondern müssen als „man-made diamonds“, als Diamanten von Menschenhand, oder als „synthetic diamonds“ gekennzeichnet werden.

Energiekosten bringen Rechnung durcheinander

Walter Hühn tut sich entsprechend schwer, über Schmucksteine zu reden. „Das sind zwei unterschiedliche Dinge“, sagt der Element Six-CEO. „Wir halten das nicht für ein Geschäft, das gut zu uns passt“, sagt er. Das heiße nicht, dass sein Unternehmen keine Schmuckdiamanten künstlich herstellen könne. Aber: „Man muss nicht alles machen“, sagt er. Es gebe weniger als eine Handvoll Konkurrenten, die er ernst nehme.

Mark Newton hat vor allem Zweifel daran, ob der Konsument die künstlichen Schmucksteine kauft. „Man sieht sofort, dass es keine natürlichen Diamanten sind“, sagt er, „der Konsument will aber Steine, die natürlich aussehen. Stellen Sie sich vor, wollen Sie für Ihren Verlobungsring etwas, das Millionen Jahre alt ist oder wollen Sie etwas, das vor wenigen Tagen aus der Fabrik gekommen ist?“

Scio Diamond dagegen, einer der Wettbewerber von Element Six, sieht bei den Konsumenten eine wachsende Offenheit: „Die Akzeptanz für im Labor gezüchtete Diamanten wächst Tag für Tag“, sagt CEO Michael McMahon.

Problematisch seien an dieser Stelle vor allem die großen Mengen an Energie, die es braucht, um synthetische Diamanten herzustellen, sagt Mark Newton. „Ich glaube nicht, dass es ein gutes Geschäft ist, diese Diamanten zu züchten“, sagt er. „Die Energiekosten sind höher als bei herkömmlichem Diamant-Abbau.“ Die steigenden Energiekosten sieht der Professor denn auch als zentrale Herausforderung für Firmen wie Element Six: „Am Ende muss die Kalkulation stimmen“, sagt Newton.

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