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Interview „Deutsche kaufen Gold wegen niedriger Zinsen“

Goldbarren bei der Bundesbank
Goldbarren bei der Bundesbank
© Bundesbank / Nils Thies
Als die Aktienmärkte im März einbrachen, rutschte auch der Goldpreismit ab. Was es damit auf sich hatte und welche Faktoren langfristig den Preis für das Edelmetall bestimmen, erläutert Juan Carlos Artigas, Leiter Research beim Branchenverband World Gold Council

Herr Artigas, Gold gilt gemeinhin als sicherer Anlagehafen. Doch als die Coronavirus-Krise Ende Februar/Anfang März begann und die Aktienmärkte einbrachen, sackte der Goldpreis in Euro in der Spitze um rund zehn Prozent ab. Was ist da passiert?

Juan Carlos Artigas
Juan Carlos Artigas
© World Gold Council

JUAN CARLOS ARTIGAS: Gold erlebte wie andere Anlageklassen eine Phase der Liquidation, von der auch langlaufende US-Staatsanleihen betroffen waren. So waren zum Beispiel viele Aktienkäufe mit Krediten finanziert und die Anleger mussten zur Deckung ihrer Verpflichtungen Gold verkaufen, das sich als liquide erwies. Dieses Verhalten von Investoren haben wir in der Vergangenheit immer wieder gesehen, auch wenn das aktuelle Umfeld weitgehend beispiellos ist. Aber auch in der Finanzkrise 2008/2009 gab es Phasen eines sinkenden Goldpreises, während Bestände liquidiert wurden.

Was macht das aktuelle Umfeld so beispiellos?

Insbesondere die Geldpolitik. Ein hohes Niveau an Unsicherheit und Risiken sind immer schon typische Treiber für den Goldpreis gewesen. Das aktuelle Umfeld, besonders aufgrund seiner Einzigartigkeit, ist da keine Ausnahme. Hinzu kommen jetzt aber die niedrigen Opportunitätskosten durch die koordinierten Aktionen der Notenbanken rund um die Welt. Nicht nur dass die Federal Reserve die Zinsen senkte, es gab rund um die Welt eine Lockerung der Geldpolitik. Wenn die Zinsen aber sehr niedrig sind, entgeht einem wenig an Ertrag durch die Anlage in zinslosem Gold, das nennt man niedrige Opportunitätskosten.

Die Erholung des Goldpreises verlief zuletzt im Gleichlauf mit den Aktienmärkten. Wie ist das Verhältnis zwischen Gold und Aktien?

Gold zeigt grundsätzlich eine negative Korrelation zu Aktien, aber es gab in den vergangenen Wochen vereinzelte Tage, an denen die beiden Märkte in die gleiche Richtung gelaufen sind. Das ist vor allem eine Folge der niedrigen Opportunitätskosten: Wenn die Zinsen sehr niedrig sind, dann ermutigt das die Leute andere Anlageklassen zu kaufen. Und wenn Anleger Aktien kaufen, dann sichern sie dieses Risiko gern mit dem Kauf von Gold ab. Eine Möglichkeit sind mit Gold besicherte ETF-ähnliche Produkte, so genannte Exchange Traded Products. Allein im März wurde von ihnen ein Volumen im Gegenwert von 8 Mrd. Dollar gekauft, in den ersten 15 Tagen des April kamen weitere 4 Mrd. Dollar dazu.

Der Goldpreis kletterte kürzlich auf einen Rekordstand. Spiegelt das die Erwartung langfristig niedriger Zinsen wieder?

Ich hatte dazu ja die Treiber Unsicherheit und Risiko sowie niedrige Opportunitätskosten hervorgehoben. Ich würde hier noch einen dritten Punkt betonen: Ein Preisanstieg erzeugt immer auch ein Momentum, das weitere Käufer anzieht. Allerdings kann ein Momentum in jede Richtung tragen, denn es ist vor allem eine Reaktion auf eine sich sehr schnell bewegende Positionierung. Aus strategischer Perspektive ist es also die Kombination aus hohem Risiko, Unsicherheit und niedrigen Opportunitätskosten, die den Goldpreis langfristig unterstützt.

Hängt der Goldpreis also hauptsächlich am Risikosentiment der Finanzmärkte?

Auch, aber wenn man langfristig auf Gold schaut, so hat es eine duale Natur. Es gibt eine Verbrauchsnachfrage etwa für Schmuck und Technologie-Produkte wie Smartphones. Diese Nachfrage wird sich in diesem Jahr wahrscheinlich abschwächen wegen der schwachen Konjunktur. Historisch betrachtet hat der Effekt der so genannten Flucht in Sicherheit diesen Nachfragerückgang aber kompensiert.

Woran hängt dann der langfristige Preistrend?

Wir haben zu dieser Frage eine Studie erstellt. Sie zeigt, dass der langfristige Preistrend bei Gold in guten Zeiten vom Wirtschaftswachstum abhängt. Es verstärkt nicht nur die Nachfrage aus den Bereichen Schmuck und Technologie, sondern auch das langfristige Sparen.

Privatanleger kaufen Gold oft in Krisenzeiten wie im März und zahlen dann hohe Preise. Kaufen sie daher ihre Goldbestände zu teuer ein?

Gold ist als Absicherung gegen Volatilität für viele Investoren vernünftig. Viele Marktteilnehmer erwarten hohe Volatilität im Aktienmarkt, und aus dieser Sicht kann es sinnvoll sein Gold als Absicherung zu verwenden. Gold wird typischerweise als sicherer Hafen betrachtet, ähnlich wie der US-Dollar oder US-Staatsanleihen. Aus dieser Perspektive erfüllt es seinen Zweck.

Sie haben schon den Dollar erwähnt. Gold wird vielfach als Währung bezeichnet, mit der man sich gegen einen schwachen Dollar absichern kann. Wie ist das Verhältnis zwischen dem Goldpreis und dem Dollar?

In der Vergangenheit gab es eine negative Korrelation zwischen Dollar und Gold. Diese Beziehung hat sich in der aktuellen Situation jedoch abgeschwächt, weil beide nun – der Dollar und Gold – als sichere Häfen betrachtet werden. Die Leute kaufen den Dollar und sie kaufen Gold. Der Goldpreis ist in diesem Jahr in Dollar gestiegen, aber auch in Euro. Für Anleger in Deutschland zählt am Ende der Goldpreis in Euro und sie kaufen Gold als Absicherung gegen eine Schwäche ihrer eigenen Währung und nicht des Dollar. Deutsche Anleger kaufen außerdem seit vielen Jahren Gold wegen der negativen Zinsen.

Schauen wir auf die Corona-Krise. Es gibt Diskussionen unter Ökonomen, ob sie inflationär oder disinflationär wirkt. Was erwarten sie – und was heißt das für den langfristigen Ausblick für den Goldpreis?

Viele Investoren betrachten Gold in der Tat durch die Linse der Inflation. Am besten schaut man aber über die Risiko-Perspektive auf das Verhältnis von Inflation und Gold. Inflation ist ein Risiko. Wenn die Inflation signifikant ansteigt, ist das ein Risiko, gegen das sich die Leute absichern wollen, und Gold könnte eines der Instrumente dafür sein. Jedoch kann auch Deflation ein Risiko sein, gegen das die Leute sich durch den Kauf von Gold absichern wollen. Man kann also erwarten, dass Gold sich insbesondere in diesen extremen Szenarien sehr gut entwickeln wird. In diesem besonderen Umfeld tut sich mit der Corona-Krise eine interessante Perspektive auf. Ein Teil ihres Warenkorbes könnte sich stark verteuern, weil die Lieferketten unterbrochen sind. Zugleich besteht wegen der monetären und fiskalischen Maßnahmen ein Risiko für den langfristigen Wert von Papiergeld-Währungen, also das Fiat-Geld. Dieses Risiko beunruhigt Investoren, weshalb Gold gut unterstützt ist.

Welche Rolle spielt Gold als Bestandteil von Währungsreserven?

Notenbanken kaufen seit etwa zehn Jahren Gold zur Diversifizierung ihrer Währungsreserven. Da haben wir auch ein Auge drauf.

Ist das eine Diversifikation weg vom Dollar?

Viele Schwellenländer hatten vor einigen Jahren noch ihre gesamten Währungsreserven im Dollar. Dann kam es zur Diversifizierung, etwa durch den Kauf von Bundesanleihen, aber auch durch japanische und britische Staatsanleihen – und eben auch Gold. Ein Grund dafür, Gold neben Staatsschulden zu halten, liegt daran, dass jede Staatsanleihe immer auch ein Kreditrisiko beinhaltet, selbst wenn sie höchste Qualität hat. Mit steigenden Haushaltsdefiziten und quantitativer Lockerung wird Gold als Ergänzung zu Staatsanleihen betrachtet.

Was erwarten sie für das Angebot an Gold?

Das Gold-Angebot ist während der vergangenen Jahre auf einem ziemlich konsistenten Pfad gewachsen. Wir machen keine Vorhersagen für die Goldförderung, aber die Produktion der Minen verändert sich typischerweise nicht besonders dramatisch in die eine oder andere Richtung. Außerdem ist Recycling von altem Schmuck oder aus alten Smartphones ein wichtiger Bestandteil des Goldangebots.

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