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Juwelierverband „Die Uhrenmarken werden irgendwann wieder bei den Juwelieren anklopfen“

Juweliergeschäft in Kempten: Zunehmend leere Innenstädte sind ein Problem
Juweliergeschäft in Kempten: Zunehmend leere Innenstädte sind ein Problem
© IMAGO / Zoonar
Es sind eigentlich richtig goldene Zeiten für Juweliere. Doch gleichzeitig ziehen sich große Uhrenmarken aus Partnerstandorten zurück. Im Interview blickt Stephan Lindner, Präsident des Handelsverbandes Juweliere, auf die facettenreiche Marktentwicklung – und auf den Mangel an Uhrmachern
Stephan Lindner führt als Co-Geschäftsführer gemeinsam mit Korbinian Fridrich den 1864 gegründeten Traditionsjuwelier Fridrich in der Münchner Sendlinger Straße. Zudem fungiert Lindner ehrenamtlich als Präsident des Bundesverband der Juweliere, Schmuck- und Uhrenfachgeschäfte e.V. (BVJ) mit Sitz in Köln
Stephan Lindner führt als Co-Geschäftsführer gemeinsam mit Korbinian Fridrich den 1864 gegründeten Traditionsjuwelier Fridrich in der Münchner Sendlinger Straße. Zudem fungiert Lindner ehrenamtlich als Präsident des Bundesverband der Juweliere, Schmuck- und Uhrenfachgeschäfte e.V. (BVJ) mit Sitz in Köln
© Volker Renner

Capital: Ihre Branche hat mit einem Plus von 21 Prozent sehr gute Zahlen für 2022 vorgelegt – noch über dem Rekordjahr 2019. Waren Sie selbst überrascht?
STEPHAN LINDNER: Ein bisschen schon, ja. Auf der anderen Seite konnte man sehen, dass die Geschäfte bereits 2021 deutlich angezogen hatten, als die Lockdown-Beschränkungen reduziert wurden. Und 2022 wurde noch einmal vieles nachgeholt, was zuvor nur eingeschränkt möglich war: etwa Hochzeiten und andere feierliche Anlässe, zu denen traditionell Schmuck geschenkt wird.

Was zählte zu den wichtigen Erfolgsfaktoren?
Anfang des Jahres 2022 waren die Zinsen noch sehr niedrig und die Wahrnehmung der steigenden Inflation erst in einem Anfangsstadium. Somit hielt die Kauflaune der Konsumenten an und auch ihr Wunsch, sich etwas zu gönnen. Insbesondere Produkte wie Schmuck oder Uhren, die besonders wertstabil sind und auch noch Spaß machen.

Setzte sich dieser Trend 2023 bisher fort?
Im ersten Halbjahr liegen wir zwischen drei und sechs Prozent unter dem außerordentlich guten Vorjahr. Die Innenstädte und Touristenlagen entwickeln sich im Moment tendenziell besser als die Geschäfte auf dem Land.

Wie gestaltet sich der Split zwischen Uhren und Schmuck?
Mehr als drei Viertel des Marktes sind Schmuck. Die Uhren sind zwar aktiver in der Werbung, aber das Geschäft wird mit Schmuck gemacht und dieser Anteil wächst.

Woran liegt das?
Ein Grund ist sicherlich die Ausdünnung des Vertriebsnetzes mancher Uhrenmarken und die stärkere Konzentration auf nur noch wenige Metropolen. Außerdem suggeriert der hohe Goldpreis, dass Schmuck aus Edelmetall weiterhin das Investment lohnt – selbst wenn er aktuell deutlich höher ist als noch vor zwei oder drei Jahren. Der Mythos vom „sicheren Hafen Gold“ hält sich hartnäckig, und dieses Bild in den Köpfen der Verbraucher ist ja auch faktisch kaum zu widerlegen. Was unsere Branche natürlich begrüßt.

Sie haben den Rückzug mancher Uhrenmanufakturen aus einem Teil ihrer Partnerstandorte bereits angesprochen, beispielsweise Patek Philippe oder Audemars Piguet. Fehlen Ihnen und den Mitgliedern Ihres Verbandes dadurch bald wichtige Leuchttürme im Schaufenster?
Die fortschreitende Vertikalisierung ist sicherlich besorgniserregend – einerseits. Als Geschäftsmann kann ich die Intention der Industrie aber durchaus nachvollziehen: eine Maximierung der Wertschöpfung von der Produktion bis zum Point of Sale. Ob sich diese Strategie allerdings langfristig auszahlt, muss sich erst zeigen.

Höre ich da Zweifel heraus?
Bisher war es den Manufakturen vor allem wichtig, im passenden Umfeld ihrer Mitbewerber präsentiert zu werden. Nehmen wir mal rein illustrativ die Marken Rolex, Omega und Breitling, die jeweils favorisieren, dass ein Händler alle drei im Portfolio hat. Die Idee: Wer für eine Rolex oder Omega kommt, geht eventuell mit einer Breitling aus dem Laden. Oder umgekehrt. Je nach Flexibilität des Kunden, Verfügbarkeit und Geschick des Verkäufers. Tja, und jetzt ist man von dieser Taktik, die stark auf das Standort- und Kundenwissen des Juweliers setzt, plötzlich offenbar nicht mehr so angetan.

Was sind weitere Folgen dieses Stimmungswandels?
Die Forcierung auf eigene Boutiquen. In München beispielsweise hat Breitling drei langjährigen Konzessionären gekündigt, um – das darf logisch gefolgert werden – die eigene Filiale zu unterstützen. Nun also Monokultur statt stimmigem Uhren-Umfeld. Die Nachbarn sind jetzt nicht Rolex, IWC oder Omega in der Auslage, sondern die Modeboutique nebenan oder der Dallmayr ums Eck. Der Haken in dieser Kalkulation? Die Mieten für solche Bestlagen belasten das Budget schnell mit zwischen 20.000 und 100.000 Euro. Jeden Monat.

Puh, die muss man erstmal einspielen. Wobei die Margen im Luxussegment ja ganz gut mit der Teuerungsrate Schritt halten können ...
Stimmt, das sind sehr wertvolle Produkte mit Preisen im oft fünfstelligen Bereich. Und daher kann ich mir kaum vorstellen, dass solche Uhren irgendwann ausschließlich online verkauft werden. Auch bin ich der Überzeugung, dass die Marken, die sich zugunsten eigener Standorte von Handelspartnern zurückgezogen haben, in einigen Jahren wieder bei den Top-Juwelieren anklopfen werden. Dort, wo man die lokale Kundschaft jahrzehntelang, manchmal über Generationen hinweg kennt und ihr Vertrauen genießt. So ein Hin- und Herschwingen des Strategiependels haben wir bereits in den letzten 50 Jahren erlebt, und das wird auch in den nächsten 20 Jahren so bleiben.

Eine Reduzierung des Retail-Fußabdruckes von global etwa 30 Prozent, wie ihn Patek Philippe in diesem Jahr ankündigte, schreckt die meisten Juweliere vermutlich weniger, oder?
Das liegt an den geringen Stückzahlen von um die 60.000 Modellen, welche Patek im Jahr für die ganze Welt produziert. Die sind fast alle vor der Herstellung bereits verkauft und reichen kaum, um die langen Wartelisten zu befriedigen. Das ist einfach eine Sonderstellung im Markt, wie sie auch Rolls-Royce genießt. Ich glaube zudem nicht, dass die Genfer Manufaktur diese verringerte Präsenz nun mit eigenen Boutiquen ausgleicht. Dafür reicht die produzierte Ware nicht und das ist zudem schwer zu finanzieren. 

Blickt man auf die gesamten Schweizer Uhrenexporte, dann sieht man seit Jahren eine Spreizung in Luxus- und Einstiegsmodelle. Die Mitte tut sich weiterhin schwer, wie auch in der Mode oder bei Möbeln. Nun mehren sich die Zeichen, dass auch das untere Preissegment leidet. Bleibt bald einzig die Königsklasse übrig?
Uhren in Preislagen bis 250 Euro kann ich nicht wirklich kommentieren, weil die historisch eher über Filialisten, in Kaufhäusern und online verkauft werden. Modelle zwischen 500 und 1000 Euro empfinde ich jedoch keineswegs als „abgehängt“, die erfreuen sich bei vielen inhabergeführten Juwelieren großen Zuspruchs in Kundengruppen von 16 bis 80 Jahren. Nicht jede Familie kann ihrer Tochter oder ihrem Sohn schließlich zum Abitur eine Uhr für 1500 oder 3000 Euro schenken. Oft muss selbst für Zeitmesser im Bereich bis 600 Euro genau gerechnet und gespart werden. Zum Glück finden sich auch dort hochwertige Uhren, etwa von Junghans oder Tissot. Der Juwelier muss gleichwohl eine Menge mehr verkaufen, um den Ertrag zu erzielen, den er im Luxussegment bereits mit dem Verkauf weniger Stücke erreicht.

Sie verbreiten eine angenehme Antikrisenstimmung. Wunderbar.
Ich möchte als Juwelier einfach Qualität verkaufen können, egal in welcher Preisklasse. Ja, ein mitreißendes Storytelling und eine glorreiche Geschichte sind in aller Munde und stellen ein wichtiges Verkaufsargument dar. Doch ohne ein hochwertiges Produkt und einen verlässlichen After-Sales-Service bleibt das alles reine Dekoration. Was ist, wenn die Uhr im Bad auf die Fliesen fällt, das Glas zerspringt und vielleicht noch das Zifferblatt beschädigt wird? Sage ich dem Kunden dann, dass die Uhr zur Reparatur eingeschickt werden muss, was bis zu zehn Wochen dauern kann, wird er sich schnell von der Marke abwenden.

Wo liegt die Schmerzgrenze?
Bei maximal sechs Wochen, würde ich sagen.

Kann der Juwelier solche Reparaturen nicht selbst ausführen?
Schon, das setzt aber die Verfügbarkeit von Ersatzteilen voraus – und, mindestens ebenso wichtig, genügend Uhrmacher. Die fehlen nur leider in der gesamten Branche. Wissen Sie jemanden?

Bedauerlicherweise nein.
Ich kenne nur Kollegen, die verzweifelt auf der Suche sind. Das ist seit Jahren ein schwerwiegendes strukturelles Problem. Gerade – aber nicht nur – bei Marken, die an große amerikanische Konzerne angedockt sind. Da rechnet das Controlling dann vor, wie unwirtschaftlich guter Service ist, und spart ihn sich. Allmählich setzt zwar ein Umdenken ein, den Fachkräftemangel behebt das jedoch nicht. 

Klingt nach einem Nadelöhr.
Sie dürfen zudem nicht vergessen, dass Manufakturen ihre „aussortierten“ Juweliere von der Versorgung mit Ersatzteilen abschneiden. Das ist frustrierend für Kunden, die vor dem Ende der Zusammenarbeit noch ein Modell gekauft haben und bei Problemen zu diesem Juwelier zurückkehren. Und den Marken-Boutiquen geht es nicht besser. Der Mangel an Uhrmachern zwingt sie, jeden Bagatellfall in die Zentrale zu schicken, wo sich die Aufträge über Wochen und Monate stapeln. Auch deren Kunden sind also unzufrieden.

Immer wieder gibt es Gerüchte, die letzten unabhängigen Uhrenmarken würden früher oder später ebenfalls unters Dach eines Luxuskonzerns schlüpfen. Oder zwei dieser Giganten könnten gemeinsame Sache machen. Befürchten Sie die wachsende Macht der Big Player?
Nein, davor habe ich überhaupt keine Angst. Schließlich stehen auch die ganz Großen untereinander in einem mittlerweile sehr intensiven Wettbewerb. Da sind die amtierenden Führungspersonen eher erpicht, Marktanteile für ihr Unternehmen zu gewinnen, als sich um immer neue Akquisitionen kümmern zu müssen. Was nicht heißt, dass es zu keinerlei weiteren Übernahmen kommen wird. Manche Marke wird gerade so energisch auf Profit getrimmt, dass es den derzeitigen Eignern nur um einen möglichst raschen, lukrativen Verkauf gehen kann…

An wen denken Sie da konkret?
Oh, Branchenkenner wissen sicherlich, wer gemeint ist. Das genügt.

Für wie wichtig halten Sie eigentlich die klassische Fachmesse als Treffpunkt und Order-Event?
Große Marktplätze wie die Watches & Wonders in Genf oder die Inhorgenta in München sind als reine Fachmessen unersetzlich. Das hat gerade die Pandemie gezeigt, als Präsenzveranstaltungen durch digitale Präsentationsformen ersetzt wurden – ohne dabei an den Nutzen des persönlichen Austauschs heranzureichen. Jede dieser Messen ist zugleich Plattform für Neuheiten, zur Inspiration wie zum Einkauf und eine Gelegenheit für die Branche, sich ein wenig selbst zu feiern. Der unabhängige Juwelierfachhandel in Deutschland ist ja eine recht kleine Welt und im europäischen Vergleich eher ungewöhnlich. Das zwingt uns zur Kooperation und gegenseitigen Unterstützung, was den regelmäßigen direkten Kontakt an einem Ort umso wichtiger macht.

Klingt nach einer fast heilen Welt. Keinerlei dunkle Wolken am Himmel?
Doch, und zwar die zunehmend unattraktiven, leeren Innenstädte. Dort, wo Karstadt und Kaufhof sowie andere große Einzelhändler riesige Lücken hinterlassen haben und höchstens noch Fast-Fashion-Ketten einziehen. Allein durch Fußgängerzonen und meterbreite Radwege entsteht nämlich keine lebendige City. Klar, das Warenhaus ist ein Auslaufmodell. Der Fachhandel stellt im Unterschied dazu aber gerade ein funktionierendes Modell dar, denn nur ein überzeugender, spannender Mix lockt die Menschen wieder vor ihre Tür. 

Was raten Sie den Städteplanern?
Mir ist der Fokus auf die Haupteinkaufsmeilen viel zu eng. Nehmen wir München. Ja, da gibt es die Maximilianstraße mit vielen Luxusmarken und die Kaufinger Straße mit einem preislich breiteren Angebot. Aber daneben finden sich viele weitere Viertel, in denen es noch Schuster gibt, Goldschmiede, Metzger und Uhrmacher. Kleine Geschäfte fern des Einheitsbreis, mit treuen Kunden, vielfältigem Angebot und einer soliden wirtschaftlichen Basis. Auf solche spannenden Mischungen müssen wir setzen und die Macher gezielt fördern. Ich vergleiche den Einzelhandel gern mit den Pfeifen einer Orgel: Manche sind wuchtig, andere winzig – doch nur im Zusammenspiel wird eine Melodie daraus.

Weihnachten ist nicht mehr allzu fern: Welche Trends könnten das Geschenke-Shopping inspirieren?
Der Diamant bleibt der Hauptakteur im Schmuck, er wird jedoch begleitet von bunten Edelsteinen, und zwar quer durch die Mineralienwelt und Farbpaletten. Beim Gold sind alle Nuancen beliebt. Gelbgold ist die dominierende Farbe, aber auch Rosé- und Weißgold sind in den Kollektionen noch stark vertreten. Mein persönlicher Tipp ist aber Platin!

Warum?
Weil es als Rohmaterial von dem Goldrausch bei den Preisen verschont geblieben und für seine Qualität günstiger zu haben ist als Weißgold. Außerdem verändert es nie die Farbe, ist haltbarer als Gold und in seiner Nische absolut unterrepräsentiert.

Was beobachten Sie bei den Uhren?
Der Siegeszug der Mechanik setzt sich ungebremst fort. Auch in den Einstiegspreislagen wird es zunehmend mechanisch und wir sehen überdies mehr erschwingliche Komplikationen als früher.

Ja, wirklich erstaunlich, wie viel Uhr heute schon in Modellen bis 3000 Euro steckt. Dazu Funktionen und Designfinessen, die früher die Haute Horlogerie ausgezeichnet haben.
Das liegt schlicht an den Stückzahlen, in denen die Werke heute gebaut werden. Als der Acht- oder Zwölfzylinder einzig der Formel 1 vorbehalten war, konnte man solche Motoren im Pkw zunächst auch nicht bezahlen. Gut, das spielt dank der E-Mobilität vermutlich bald keine Rolle mehr. Aber Sie wissen, was ich meine.

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