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Otto Katalog verschwindet


Damit verschwindet ein Stück Wirtschaftswunder: Der erste Otto-Katalog erschien vor 68 Jahren. Nach der Währungsreform wurde Mode so auch auf dem Land verfügbar. Über die Jahre brachte Otto Stars wie Nena und Heidi Klum auf den Titel. Generationen von Hamburger Schulkindern verdingten sich als Kindermode-Modelle.
Zusammen mit den Pendants der längst untergegangenen Konkurrenten Quelle und Neckermann – deren Markenrechte sich Otto nach den jeweiligen Insolvenzen sicherte – zeigte der Otto-Katalog die Konsumwelt im Wandel. Die Cover-Stars begnügten sich statt mit Haute Couture mit Mode, die in ganz Deutschland getragen werden könnte.
Die Hamburger Familie Otto machte das Versandkonzept schwerreich. Der verstorbene Gründer Werner Otto skalierte sein Geschäftsmodell, lange bevor die Internet-Start-ups dieses Schlagwort entdeckten. Schließlich kam das Kataloggeschäft ohne Filialnetz aus, erreichte aber dennoch Dörfer im Allgäu und auf Föhr. Das so erwirtschaftete Geld steckte die Familie in schnelle Katalog-Mode (Bon Prix) und klassischen Handel wie Sport Scheck – beides Modelle, die heute ebenfalls aufs Internet setzen.
Währenddessen wuchs die Logistik von Jahr zu Jahr. Daraus entstand der Paketdienst Hermes, der heute den Erfolg der Otto-Gruppe absichert. Ausgerechnet der aus den USA herübergekommene, längst enteilte Konkurrent Amazon nutzt Hermes ausgiebig. Die Familie profitiert so auch, wenn sie Otto-Kunden an die Amerikaner verliert. Nach einer kurzen Schwächephase verdient sie heute wieder gutes Geld.
Dennoch sind halbjährliche Kataloge im Netzzeitalter zu langsam. Technik und Mode verlieren schon Tage nach ihrer Premiere an Wert. Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen Smartphone-Fans vor Läden zelteten, um als erste ein Gerät zu kaufen. Doch heute soll es schnell gehen – schneller als bei der Bestellung per Postkarte.
Otto rühmt sich, diesen Trend schnell erkannt zu haben und schon in den 1990er-Jahren im Internet gewesen zu sein. Die Hamburger wollen der einzige große Katalogversender weltweit sein, der die Transformation ins Internetzeitalter heil überstanden hat. Einzig bedeutender Restant ist der Ikea-Katalog. Die Möbel-Eigenmarken wechseln noch immer hauptsächlich im Jahresrhythmus. Für die Schweden bleibt der Katalog ein Image-Träger.
Ihr Alleinstellungsmerkmal haben die Hamburger längst verloren. Die bunte Warenwelt strömt aus dem Netz unaufhörlich in jeden Winkel – vom Allgäu bis in die Mongolei. Der alte Papier-Katalog ist museumsreif, erinnert an eine langsamere Zeit, an ein verblühtes Konsumversprechen.
Die Otto-Katalogwelt findet künftig nur noch online statt, wo inzwischen 95 Prozent der Otto-Bestellungen eingehen. Wer im Jahr 2019 noch immer kein Internet hat, kann immerhin noch bei den 2000 Callcenter-Mitarbeitern anrufen und seinen Wunsch beschreiben.