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Wo eine Waage die Zeit misst

Normalerweise ist in der Werkstatt von Uhrmachern kaum ein Laut zu hören. Höchstens ein gedämpftes Ticken oder das leise Klirren eines Werkzeugs. Nicht so am Arbeitsplatz von Stefan Lange und seinen vier Kollegen. Hier erfüllt meist lebhaftes Stimmengewirr den Raum, oft nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch, Französisch, Spanisch und Chinesisch. Denn die fünf Uhrmacher widmen sich ihrer filigranen Tätigkeit mitten in der Filiale des Juwelier-Unternehmens Wempe an der Frankfurter Hauptwache, die dieses Jahr ihr 50. Jubiläum feiert.
 
Ein anspruchsvoller Wirkungsbereich, sagt Geschäftsführer Uwe Beckmann. Zwar hält derzeit wegen der Corona-Pandemie eine Schutzscheibe die Interessenten etwas auf Distanz. Ansonsten aber komme es durchaus vor, dass sich Kunden über den Tresen beugen und jeden Handgriff genau beäugen, während ihre Uhr von den Fachleuten geöffnet und inspiziert wird. Eine Nähe, die nicht jeder Uhrmacher gewöhnt sei, die Besitzer der oft wertvollen Chronometer jedoch zu schätzen wissen. "Die Kunden vertrauen uns ihr Eigentum an", sagt Beckmann. "Das sind oft Erbstücke, da hängen unfassbar viele Emotionen dran. Als Uhrmacher braucht man bei uns deshalb Sensibilität und ein breites Fachwissen, gute Nerven und hohe Kompetenz."
 
Bei ihrer Arbeit brauchen sich Lange und seine Kollegen nicht nur auf ihr geschultes Auge und ihr Können zu verlassen, sondern können auch einige Apparate nutzen, die auf einem Bord hinter ihren Rücken stehen. Etwa ein Gerät mit dem schönen Namen Zeitwaage: ein Halter für die Armbanduhr, das mit einem Computer verbunden ist. Per Mikrofon werde hier das Ticken der Uhr abgenommen, erklärt Stefan Lange. Anhand der Schwingungsweiten könne die Zeitwaage Werte berechnen, die Rückschlüsse auf das Innenleben des Chronometers zulassen. Wie das funktioniert, demonstriert der Uhrmachermeister mit Uwe Beckmanns Uhr: legt sie auf den schwarzen Halter und inspiziert kritisch die Zahlen, die Sekunden später auf dem Bildschirm aufleuchten. Dann nickt er zufrieden: "Das ist top. Alles in Ordnung."

Damit ist die Testphase für den Chronometer allerdings noch nicht beendet. Neben der Zeitwaage steht nämlich ein weiterer Apparat. Per Über- und Unterdruck werde hier geprüft, ob die Uhren wasserdicht sind, erklärt Stefan Lange, während er den Zeitmesser seines Chefs auf eine Halterung steckt und eine Klappe schließt. Ein leises Zischen ertönt - ein Zeichen dafür, dass das gute Stück gerade einem Überdruck von drei Bar ausgesetzt wird. Gleich darauf leuchten auf dem Bildschirm den Prüfgeräts Zahlen auf: Um die Winzigkeit von 31 Mikrometer habe sich die Uhr verformt, stellt der Fachmann fest, während er den Computer weiter im Auge behält. Denn erst, wenn klar ist, dass dieser Wert gehalten wird, stehe fest, dass der Chronometer tatsächlich Wasser standhält. Fast müßig zu sagen, dass Beckmanns Präzisionswerk auch diese Herausforderung problemlos meistert.

In einer kleinen Werkstatt über den Verkaufsräumen sind weitere Prüfungen möglich. Hier steht beispielsweise ein Uhrenbeweger, auf dem bis zu zwölf Zeitmesser gleichzeitig rotieren können - und zwar über Tage hinweg. Nicht nur, um das Tragen zu simulieren, sondern auch, um zu überprüfen, ob alle Funktionen korrekt arbeiten. Und für größere Reparaturen gibt es die Wempe-Werkstätten in Hamburg und Glashütte in Sachsen. Rund 50 000 Zeitmesser würden hier jährlich gewartet und instandgesetzt, sagt Uwe Beckmann: "Das ist die größte Uhrenwerkstatt Europas."

Auch drei Goldschmiede sind direkt in der Filiale an der Hauptwache tätig. Ihre Erfahrung ist vor allem dann gefragt, wenn Interessenten etwa mit Erbstücken kommen, die umgearbeitet werden sollen. In solchen Fällen beschränke man sich jedoch auf die Beratung, sagen Uwe Beckmann und Goldschmiedemeisterin Simone Grombein. Die Arbeiten selbst würden im Wempe-Schmuckatelier in Schwäbisch Gmünd erledigt. "Für diesen Bereich gelten so viele Vorschriften, das wäre hier gar nicht möglich", erklärt der Geschäftsführer. Individuelle Anfertigungen gibt es trotzdem. "Jeder Ehering, den wir machen, ist eine Spezialanfertigung", sagt Grombein. Und sie hat schon manches verliebte Paar erlebt, das seine Beziehung auf besondere Weise dokumentiert haben wollte: durch ein Schmuckstück, in das die Koordinaten des Kennenlern-Orts graviert wurden.